In einer Welt, die zunehmend von Vielfalt und individuellen Lebensentwürfen geprägt ist, stoßen traditionelle Konzepte wie Monogamie oder Ehe oft auf moderne Beziehungsmodelle wie Polyamorie. Menschen, die eine andere Form von Liebesbeziehung wählen, stehen vor der Herausforderung, ihren Lebensstil zu erklären und dabei Missverständnisse und Vorurteile zu überwinden. Diese Vorurteile sind tief verwurzelt und ich musste lernen, ihnen mit Selbstbewusstsein und Offenheit zu begegnen.
Seit knapp neun Jahren beschäftige ich mich mit alternativen Beziehungsmodellen und dabei habe ich für mich die Polyamorie entdeckt. Diese Entscheidung hat mich schon des Öfteren in die Konfrontation mit gesellschaftlichen Konventionen und Vorurteilen gebracht. Ein Teil dieser Auseinandersetzungen entstand intrinsisch, ein anderer Teil durch die Außenwelt.
Polyamorie und gesellschaftliche Konventionen
Leider stellt Polyamorie oft eine Herausforderung für traditionelle gesellschaftliche Normen dar. Wenn man offen darüber spricht, stößt man nicht selten auf Unverständnis. Viele Menschen haben eine eingeengte Vorstellung davon, was Liebe bedeutet, und es fällt ihnen schwer zu akzeptieren, dass Liebe in verschiedenen Formen existieren kann. Mich frustriert es, wenn sich Menschen anmaßen, über mein Liebesleben zu urteilen oder mir das Recht absprechen, zu lieben.
Bindungsfähigkeit und Polyamorie
Ich bin stolz meine Liebe und mein Leben selbst zu gestalten, es geht mir gut dabei. Dennoch bin ich in den letzten Wochen mit dem Vorurteil konfrontiert worden, dass Menschen, die polyamor leben, nicht bindungsfähig oder sogar bindungsgestört seien. Diese Aussagen regen mich zum Nachdenken und Reflektieren an. Ist das wirklich so?
Meine Gedanken dazu
Eine Störung oder Abweichung kann erst dann entstehen, wenn es eine festgelegte Norm gibt. Monogamie ist ein menschgemachtes Konzept und nicht naturgegeben. Wenn also Menschen bestimmen, dass Monogamie „normal“ ist, dann wird alles, was davon abweicht, als „unnormal“ betrachtet. Ich bin schwul, und auch das galt lange als „unnormal“. Und jetzt?
Ein weiterer Gedanke: Jeder Mensch sehnt sich nach Bindung und Glück. Menschen, denen enge Bindungen schwerfallen oder sogar Angst machen, werden im Rahmen einer monogamen Beziehung womöglich öfter an Grenzen stoßen oder sogar scheitern. Ein Grund hierfür ist, dass der vorgegebene Rahmen der Monogamie, einige Aspekte der menschlichen Grundbedürfnisse, wie körperliches Wohlbefinden, das Bedürfnis nach Sicherheit, soziale Bedürfnisse, Wertschätzung oder Individualbedürfnisse und das Bedürfnis nach Selbstverwirklichung nicht ausreichend zulässt.
Offene Beziehungsmodelle bieten eine Möglichkeit, sich in einem freien Raum, über die eigenen Bedürfnisse klarer zu werden. Grenzen „verbotener“ Gefühle werden abgebaut und es entsteht die Einladung, sich partnerschaftlich und offen mit ihnen auseinanderzusetzen und als fühlender, bedürfnistragender Mensch gesehen und respektiert zu werden.
Polyamorie, aber auch andere offene Beziehungsmodelle, sind durch offene Kommunikation, Vertrauen, Respekt, Freiheit und Ehrlichkeit geprägt. Diese Eigenschaften sind essenziell für stabile und gesunde Beziehungen, jeglicher Art. Man zeige mir eine Quelle, die Beziehungsunfähigkeit oder Bindungsstörungen mit solch wertvollen und positiven Eigenschaften definiert. Polyamore Menschen investieren oft bewusst und intensiv in ihre Beziehungen, was das Gegenteil von Bindungsstörungen darstellt.
Schlusswort
Ich bin dankbar über jedes aufrichtige Interesse an meinem Liebesleben. Vorurteilen begegne ich offen und ich setze mich mit ihnen auseinander. Polyamorie und Bindungsstörung? Im Gegenteil, polyamore Beziehungen erfordern und fördern eine hohe emotionale Intelligenz und die Fähigkeit, tiefe und ehrliche Verbindungen einzugehen. Die Annahme, dass Polyamorie mit Bindungsunfähigkeit gleichzusetzen ist, ist für mich nicht stimmig. Doch eines wird mir mit der Auseinandersetzung dieses Vorurteils klar.
VORURTEILE UND MISSVERSTÄNDNISSE ENTSTEHEN HÄUFIG DURCH UNWISSENHEIT UND FEHLENDE AUSEINANDERSETZUNG.