Ich sitze im Café und besinne mich auf das vergangene Jahr. Ich denke an Momente und Menschen, die mich dieses Jahr begleitet, bewegt und geprägt haben. Was habe ich erreicht? Worauf bin ich stolz? Was hat dieses Jahr nicht so geklappt und was hätte ich anders machen können? Meine Gedanken füllen einige Seiten meines Notizblocks. Ich befinde mich in einer konzentrierten Betrachtung meines Jahres und letzten Endes meines Lebens und fühle einen emotionalen Mix aus Trauer, Schmerz, Freude und Stolz. Ich fühle mich wohl dabei! 
Während ich über mein Leben nachdenke stoße ich auf eine wesentliche Frage: Wer bin ich? Eine Frage, die mich seit 33 Jahren herumtreibt und bisher unbeantwortet blieb, oder?

Sich zu fragen, wer man ist, fordert Mut – Mut zur Ehrlichkeit und zur bedingungslosen Annahme dessen, was ist und was in einem vorgeht. Es bedarf Neugier und Lust, sich wirklich zu entdecken. Denn was sich offenbart, ist nicht nur Glück oder Zuversicht – auch Unsicherheiten, Ängste und Trauer zeigen sich bei der ehrlichen Betrachtung des Selbst. Es entstehen Gefühle, die sich unbequem anfühlen und die Stimmung beeinflussen. Der Einfluss dieser Gefühle auf das Gemüt wird oft als negativ wahrgenommen und entsprechend bewertet.  Das Bedürfnis, sich von diesen Gefühlen zu befreien, weckt die Sehnsucht nach Veränderung. Doch anstatt sich mit den Gefühlen auseinanderzusetzen, ihren Sinn und Einfluss auf das Gemüt zu verstehen und den Umgang mit ihnen zu verändern, ändern wir unser Verhalten. Manche lenken sich ab, während andere affektiv oder impulsiv reagieren.

Während ich über diesen Umgang von Gefühlen und Emotionen nachdenke, bemerke ich, dass diese Art und Weise meistens nicht die meine ist. Doch sehr häufig beobachte ich diese Umgangsformen sowohl in unserer Gesellschaft als auch in meinem familiären Umfeld. Ich spüre, dass mir dieses Verhalten oft Schwierigkeiten bereitet. Ich frage mich: Was hält Menschen davon ab, Gefühle zu erleben?

Zwischen Reiz und Reaktion liegt die Freiheit. 

– Viktor Frankl

„Negative“ Gefühle gehören zum Leben wie Freude, Glück oder Zufriedenheit. Wenn ich dazu neige, Gefühle zu unterdrücken, weil ich beispielsweise glaube, sie nicht aushalten zu können, dann bin ich immer in der Abwehr (Ustorf, 2020).

Seit vielen Jahren setze ich mich intensiv mit meinen Gefühlen auseinander, unter anderem weil ich ein Clown bin. Und ich habe gelernt, diese anzunehmen. Besonders hilfreich war in diesem Jahr, neben buddhistischen Betrachtungen, auch die Philosophie des Stoizismus (1). Die stoische Betrachtung meines Lebens hat mir geholfen, die Dinge, die außerhalb meiner Kontrolle liegen loszulassen, um mich stattdessen auf das zu konzentrieren, was in meinem Einfluss liegt. Dazu gehören meine Gedanken, meine Reaktionen und meine Haltung.

Für mich ist die „Wer bin ich?“ Frage nicht die entscheidende und es geht mir nicht darum, eine feste Identität zu definieren. Vielleicht sollte der Fokus auf dem „Was“ liegen: Was tue ich? Was möchte ich? Was bringe ich in diese Welt ein? – ES GEHT WENIGER DARUM, JEMAND ZU SEIN, ALS DARUM, ETWAS ZU TUN!

(1) – Eine antike Philosophie. Sie lehrt, ein tugendhaftes Leben im Einklang mit der Vernunft zu führen und sich auf das zu konzentrieren, was man kontrollieren kann.

Ustorf, A.-E. (2020). Dem Schicksal ausgeliefert. Psychologie heute, 8, 30-32.

Schreibe einen Kommentar